Recht auf Gesundheit – Erfahrungen von Menschenrechtsverletzungen – Ban Ying e.V.

Exemplarische Erfahrungen von Menschenrechtsverletzungen im Gesundheitswesen in Deutschland, zusammengetragen aus der Praxis von Ban Ying e.V.

Ban Ying e.V. ist Träger einer Koordinations- und Fachberatungsstelle gegen Menschenhandel sowie einer Zufluchtswohnung für Betroffene von Menschenhandel. Als eines der ältesten Berliner Frauenprojekte in diesem Bereich setzen wir uns für die Rechte von Migrantinnen, die Erfahrungen von Gewalt, Ausbeutung oder Menschenhandel gemacht haben, ein.

In der Koordinations- und Beratungsstelle von Ban Ying e.V. werden Migrantinnen* auf zwei Ebenen unterstützt: die praktische Ebene der sozialarbeiterischen Beratung und Begleitung, und die theoretische Ebene mit einem wissenschaftlichen-, politischen- und Bildungsansatz.

Die Zufluchtswohnung von Ban Ying e.V. bietet einen anonymen Schutzraum hauptsächlich für Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind, sowie für Hausangestellte von Diplomat_innen. In der Wohnung arbeiten zwei Sozialarbeiterinnen und zwei fest angestellte Sprachmittlerinnen/ kulturelle Mediatorinnen. Für weitere Sprachen werden Sprachmittlerinnen auf Honorarbasis eingestellt. Im Fokus der Begleitung der Bewohnerinnen stehen ihre Anliegen und Bedürfnisse. Die Bewohnerinnen werden darin unterstützt ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen und ihre rechtlichen Ansprüche durchzusetzen.

Für das Permanent Peoples Tribunal 2020 in Berlin haben wir zwei Beispiele aus unserer Arbeit in der Fachberatungsstelle und in der Zufluchtswohnung zusammengestellt.

1.
Anfang Juli wurden wir informiert, dass Frau W., eine thailändische Frau, die seit ungefähr fünf Jahren in Deutschland wohnt, gegen ihren Willen in eine Psychiatrie in Thüringen eingesperrt wurde. Wir traten telefonisch in Kontakt mit Frau W., die uns erzählte, das sie mit einen deutschen Mann verheiratet ist, der gewalttätig ist. Er wollte sie schlagen und sie hat ein Messer geholt, um sich zu verteidigen. Daraufhin hat ihr Mann die Polizei angerufen und sie wurde in die Psychiatrie gebracht. Dazu gab es einen gerichtlichen Beschluss, der sich nur auf die Aussagen des Ehemanns stützte. Sie erzählte uns, dass sie es in der Psychiatrie nicht aushalte, dass sie entlassen werden und zurück nach Thailand fliegen will.

Frau W. spricht kaum Deutsch und wenig English, sie spricht ausschließlich Thai fließend. Dennoch war in der Psychiatrie kein*e Dolmetscher*in anwesend. Wir schickten eine Schweigepflichts-entbindung in die Psychiatrie, um mit ihrem behandelnden Arzt zu sprechen. Am Telefon erklärte der Arzt, dass er zwar mit Frau W. sprachlich nicht kommunizieren kann, aber mit ihrem Ehemann geredet hätte. Er schildert uns die Diagnose, nach der Frau W. an Eifersuchtswahn, Anpassungsstörung und Suizidalität leide. Als wir fragen, wie er eine Diagnose feststellen konnte, ohne mit Frau W. kommunizieren zu können, sagt der Arzt plötzlich, dass Frau W. in den nächsten Tagen entlassen wird. Frau W. wurde tatsächlich zwei Tage später entlassen und flog ca. zwei Wochen später, wie sie es sich gewünscht hat, nach Thailand.

Frau W.’s Menschenrechte wurden verletzt; eine Diagnose wurde hergestellt, obwohl der Arzt nicht mit ihr kommunizieren konnte und sie wurde mehrere Wochen in der Psychiatrie interniert. Um die Diagnose zu erstellen, hat sich der Arzt nur auf die Aussagen von Frau W.’s Ehemann verlassen. Wir vermuten, dass die Entlassung von Frau W. mit unseren Anrufen zu tun haben könnte. Möglicherweise hat der Druck von außen und unsere Fragen zur Diagnosefeststellung ohne direkte Kommunikation und ohne Dolmetscher*in den Arzt verunsichert.

Wir sind in Kontakt mit Frau W. die jetzt in Thailand wohnt und sich wünscht, dass ihre Geschichte beim Menschenrechtstribunal erzählt wird.

2.
Frau Z. lebt seit einiger Zeit bereits in der Zufluchtswohnung von Ban Ying und ist schwanger. Sie kommt aus einem westafrikanischen Land und spricht muttersprachlich Englisch. Sie nimmt die Vorsorgeuntersuchungen in einer gynäkologischen Praxis wahr.

Im Juni erhalten wir einen aufgebrachten Anruf. Frau Z. berichtet, dass sie sich den Überweisungsschein mit einer Freundin angeschaut hätte, die ihr übersetzt habe, dass dort diverse Diagnosen stehen wie psychische Belastung, soziale Belastung, Adipositas etc., die ihr nicht erklärt wurden und über die mit ihr nicht gesprochen wurden. Sie sei sehr verärgert, denn sie solle etwas unterschreiben, was ihr nicht erklärt wurde und dass sie wisse, dass sie Flüchtling sei, aber dass das einer weißen Frau nicht passiert wäre. Ich versuche sie zu beruhigen, aber ihren Ärger und ihre Angst ernst zu nehmen. Es ist völlig unklar, warum diese Diagnosen auf dem Überweisungsschein stehen, obwohl es um eine humangenetische Abklärung geht.

Ich biete an, dass ich das bei der gynäkologischen Praxis kritisiere und nachfrage, welchen Zweck das haben soll, bitte sie aber auch, selbst nachzufragen und ihr Unverständnis zum Ausdruck zu bringen. Ich sage ihr auch, dass es die Möglichkeit gibt, die Praxis zu wechseln, wenn sie sich unwohl und ungerecht behandelt fühle und kein Vertrauensverhältnis habe. Gleichzeitig plädiere ich sehr dafür, den Befund vor dem Hintergrund des ganzen Ärgers nicht zu ignorieren und falsche Schlüsse zu ziehen, sondern im Interesse des Babys ernst zu nehmen. Damit kann Frau Z. erstmal leben, habe ich den Eindruck. Bei meinem Anruf, wird auf den nächsten Vorsorgetermin verwiesen, den Frau Z. coronabedingt alleine wahrnehmen muss. Sie spricht den Überweisungsschein an und kann mit der Antwort auch leben, dass es sich um Routineeintragungen handle aufgrund der Krankenkasse.

Im Juli hat Frau Z. einen weiteren Termin bei ihrer Gynäkologin. Sie ruft danach völlig aufgelöst an und ist eine Mischung aus verzweifelt und wütend und verängstigt. Ich biete ihr an zu kommen und treffe sie in der Nähe der Praxis. Sie informiert mich, was heute passiert ist. Es gibt weiterhin eine bestimmte Schwangerschatfsdiagnose, weshalb Frau Z. Medikamente einnimmt. Da die Werte beim letzten Mal besser waren und nun wieder schlechter sind, fragte die Ärztin, ob sie die Medikamente nehme. Frau Z. sagte, ja, so wie ihr aufgetragen wurde, trinke sie abends 2 davon. Daraufhin erklärte die Ärztin, nein, sie hätte sie vaginal einführen sollen. Frau Z. verneint und beharrt darauf, dass ihr von der Ärztin gesagt wurde, dass sie sie trinken solle. Die Ärztin geht darauf nicht ein, sondern erklärt nun, dass es kein Problem sei, dass man es auch trinken könne und sie es auch weiter trinken könne, gibt ihr gleichzeitig neue Medikamente zur vaginalen Einnahme.

Frau Z. ist dadurch sehr verunsichert und fühlt sich für dumm verkauft, nicht ernst genommen und betrogen und macht sich große Sorgen um das Baby. Sie möchte mit mir zusammen die Sache klären. Wir gehen also wieder zur Praxis und warten, bis die Ärztin Zeit hat. Als es soweit ist, spricht die Ärztin sofort mit mir deutsch und will am liebsten alles mit mir auf deutsch klären. Es ist gleich am Anfang schon ihr erster Satz, dass wir beide uns ja auf deutsch unterhalten können. Ich lehne das natürlich ab und bleibe konsequent beim Englischen und weise sie darauf hin, dass ja Frau Z. kein Deutsch versteht und es deshalb überhaupt keinen Sinn macht. Sie spricht dann zwar auf englisch, adressiert im weiteren Gespräch aber fast ausschließlich mich und wechselt auch immer wieder kurz ins Deutsche.

Sie erklärt mir, dass es auch für sie nicht leicht sei, das alles auf englisch zu erklären, aber was nun eigentlich das Problem sei. Sie ist wenig emphatisch und wirkt sehr genervt von Frau Z. und davon, dass sie es wagt, Dinge in Frage und Forderungen zu stellen und sich „erlaubt“ verärgert auf sie zu sein. Ich versuche zu erklären, dass das ja nicht so außergewöhnlich sei und von der Sorge um das Kind her rührt. Aber sie stellt es so dar, als ob sie sowieso schon ganz viel Extraarbeit für Frau Z. mache, weil sie wöchentlich kommen könne (anstatt alle 2 oder 3 Wochen) und sie schon sehr viel wegen einer bestimmten Verdachtsdiagnose getan habe etc pp. Frau Z. stellt hinterher fest, dass es doch ihre Arbeit sei und sie nicht ständig verlangen könne, dass man dankbar sei, dass sie ihre Arbeit tue.

Die Ärztin ist an mehreren Stellen auch sehr bevormundend und weist Frau Z. sehr harsch darauf hin, das Telefon wegzulegen, obwohl diese nur einen eingehenden Anruf abgelehnt hat und dass sie das Telefon nicht auf ihren Schoß legen solle, sondern in die Tasche stecken.

Auf dem Rückweg reden Frau Z. und ich darüber, wie und warum das alles so unangenehm war. Ich schlage Frau Z. vor, dass wir versuchen sollten die Ärztin zu wechseln, weil sie dort nicht gestärkt wird.

Im Nachgang müssen wir aber feststellen, dass dies nicht möglich ist, weil das neue Quartal gerade erst angebrochen ist und bereits bei der bestehenden Ärztin abgerechnet wurde. Innerhalb dieses Quartals kann ein Wechsel nicht mehr erfolgen, weil eine neue Gynäkologin für den gleichen Zeitraum nicht mehr mit der Krankenkasse abrechnen kann. Im nächsten Quartal wird die Schwangerschaft allerdings schon beendet sein.

Weitere Informationen über Ban Ying e.V. und seine Arbeit: https://www.ban-ying.de/

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