MORiA Brennt – Ist das ein finaler Weckruf?

Mitteilung der Arbeitsgruppe Mobilisierung zur 45. Sitzung des Permanent Peoples Tribunal

MORIA brennt, erneut. Dieses dokumentierte Grauen im Herzen Europas wurde seit seinem Beginn (2015) durch dutzende Berichte von Menschenrechts-, humanitären und anderen Nichtregierungsorganisationen angeprangert. Fast 20.000 Menschen (auf dem Höchststand letzten Februar), und zum Zeitpunkt des Brandes 13.000, wurden „abgestellt“  in diesem Gefängnis aus Schlamm, Müll und Gewalt, umgeben von Stacheldraht. MORIA ist eine geplante Vorhölle, in der Geflüchteten ihr Recht auf Asyl, Freiheit und Würde verweigert wird, da sie nicht einmal in der Lage sind, auch nur die grundlegendsten alltäglichen Aktivitäten wie Schlafen, Essen oder Kommunikation auszuüben. Es war ein Ort, an dem 4.000 Kindern – ohne Träume zurückgelassen – Gesundheitsversorgung und Bildung verweigert wurden; an dem Jugendliche eine abnorme Rate von Selbstmordversuchen vorweisen, ein Grad der die Verzweiflung im Lager hätte vor Augen führen müssen (MSF); an dem Frauen durch tägliche Vergewaltigungen, mangelnde Hygiene und grassierende Gewalt terrorisiert wurden. Die Hunderten von Zeug*innenaussagen, die das Ausmaß des unerträglichen „Nicht-Lebens“ in MORIA offenbaren, blieben jahrelang ungehört.

Nun ist das eingezäunte Lager, das kurz vor der Schließung stand, bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Aber wie konnte dieses Bauwerk – als Konstruktion des Im-Stich-lassens von Menschen, die auf „Anzahl und Körper“ reduziert wurden – wieder als ein Insel-Lager im Herzen Europas des 20. Jahrhunderts auferstehen? Wie konnte diese Apartheid und die planmäßige Verwaltung des „Anderen“, des „Migranten“ in dem langen Schweigen von 5 Jahren akzeptiert und toleriert werden? Diese unmenschliche „Einschließung“ war von der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten als Modell für die Migrationspolitik errichtet worden. MORIA war die Essenz des Abschreckungsmodells, das darauf abzielte, die Flucht potentieller Asylsuchender aus Kriegsländern zu erschweren und sie in die Ruinen zurückzudrängen, und welches 2016 durch das Abkommen zwischen der EU und der Türkei besiegelt wurde. Es ist dokumentiert, dass auf den griechischen Inseln die Genfer Konvention konstant tagtäglich verletzt wurde. Ist sie auf Lesbos begraben worden?

Die beunruhigendste Realität von alldem ist, dass MORIA nicht außergewöhnlich ist – sondern Teil einer Kette von Lagern und Hotspots in ganz Europa, die als Orte „ohne Rechte“ errichtet wurden, und einer systematisch geplanten Vernichtung der „Anderen“ dient, sie psychisch zerstört in Lagern, wo sie sogar bei lebendigem Leibe hätten verbrennen können. Die Grenzen der EU wie auch die Seewege sind ebenfalls zu Orten des Todes geworden, an denen Tausende ertrunken sind. Diese Situation ist bezeichnend für die allgemeine Politik der Nekropolitik, die die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten praktizieren, und wird mit der Politik der militarisierten Externalisierung der Grenzen kombiniert. Und auch innerhalb der Festung Europa werden – wie in dieser Zeit von COVID-19 grafisch dargestellt – den Wanderarbeitern, die einen großen Teil der „unentbehrlichen Arbeitskräfte“ in der Landwirtschaft, der Pflege und der Hausarbeit ausmachen, Grundrechte verweigert. Sie sind täglichem Rassismus ausgesetzt und den Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben beraubt.

Als Teil jenes Europas, das sich immer noch in erster Linie als „menschlich“ versteht und sich allen Bewegungen anschließt, die sich in diesen Stunden Gehör verschaffen, prangern wir, die Unterzeichner*innen, die wir seit Jahren Zeug*innen des tragischen Schicksals der Migrant*innen und Geflüchteten sind, umso mehr das Feuer von MORIA als symbolischen und weithin sichtbaren Ausdruck des stillen, permanenten und geplanten Verbrechens gegen die Menschlichkeit an. Verantwortlich dafür sind die Europäische Kommission und die europäischen Staaten, wie das Urteil des Permanent Peoples Tribunal (Anhörungen 2017-2019) unterstreicht. Die humanitären Interventionen dieser Stunden – an sich schon minimal – können nur als eine Maßnahme erscheinen, die das Gesicht wahrt. Einmal mehr beziehen sich diese Verlautbarungen auf eine Zeit ohne Stichtage und bestätigen somit die bestehende Völkermordpolitik – da die Europäische Kommission und die EU-Regierungen sich für eine Identität entscheiden, die sich von den Verpflichtungen der rechtsstaatlichen Zivilisation befreit erklärt. Diese Pflichten sollten im Einklang mit der „Nie wieder“ Verpflichtung gegen die Vernichtungslager stehen und hatten Europa zu einem Ort des Willkommens und zu einem Indikator für das eigene Entwicklungsprojekt gemacht.

Wir rufen daher die Europäische Kommission und alle europäischen Staaten auf:

  • die Insel dringend zu evakuieren und die Migrant*innen und Geflüchteten von MORIA in Sicherheit und Würde umzusiedeln.
  • Die Kriminalisierung der Migrant*innen und Geflüchteten und die Kriminalisierung der Solidarität zu beenden.

Es ist kein Verbrechen, zu migrieren oder Asyl zu suchen! Es ist ein Menschenrecht!

14. September 2020

Die Bewegungen und Organisationen, die die 45. Sitzung des Permanent Peoples Tribunal für Migrant*innen und Geflüchtete einberufen
https://transnationalmigrantplatform.net/

Quelle: Transnational Migrant Platform Europe

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